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Tafeln wie ein König Der Tagesspiegel, Berlin, 12.11.2006
von Markus Frenzel, alle Fotos: Mike S. Wolff
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"Jahrelang forschte Olaf Kappelt im Geheimen Staatsarchiv. Dann wusste er: Der Alte Fritz war ein Gourmet. […]
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Der Alte Fritz hat Hunger. Mit klapperndem Degen tänzelt er durch den engen Gang zwischen Feuerstelle und Arbeitsplatte, reißt Topfdeckel hoch und steckt seine krumme Nase hinein. Teltower Rübchen, für die hat der König sich stark gemacht. In einer Ecke steht der Koch und stopft Täubchen mit Äpfeln und Brotbrocken. Der Preußenkönig lugt ihm über die Schulter. "Die Gourmetküche", prahlt der Alte Fritz, "die ist mit mir in Berlin in Mode gekommen." […]
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Friedrich II. beschäftigte sich schon früh mit dem Essen und zum Großteil aus politischen Gründen. Als er 1740 den Thron bestieg, hatten seine Untertanengerade einen besonders strengen Hungerwinter durchlitten. Wegen der miesen Ernte wurde Getreide immer teurer, Lebensmittel immer knapper. Die Menschen hatten nichts zu beißen, einige verhungerten. Kaum gekrönt, ließ der junge Hohenzollern-König die Magazine öffnen und Getreide verteilen. So gelangte er zum ersten Mal über das Essen in die Herzen der Berliner.
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In zäher Archivarbeit hat Kappelt versucht, die kulinarischen Vorlieben des Königs zu erforschen. Drei Jahre lang hat er sich in den Wintermonaten, wenn er wegen der Kälte keine Rundgänge machen konnte, ins Geheime Staatsarchiv in Dahlem verzogen und Tausende Küchenzettel von anno dazumal durchforstet. Hat sich sogar eine Allergie und Atembeschwerden geholt, "wegen des Papiers". Immer wieder stieß er auf den vergilbten Zetteln der Hofköche auf die Schrift des Monarchen, der Gerichte kommentierte oder daneben ein Kreuzchen machte: ein Zeichen dafür, dass es ihm besonders geschmeckt hat.
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In voller Montur, mit Kordeln und Orden behangen, schaut Kappelt zu, wie seine Forschungsergebnisse zu Essbarem werden. "Was wir heute kochen, hat Friedrich wirklich so im November 1741 in Berlin konsumiert." 265 Jahre später zappeln wieder in einem Schüsselchen Havelländer Flusskrebse. Auf dem Herd steht ein riesiger Pott mit öligem, dickflüssigem Kalbsfonds.Schön streng durchgewürzt, Friedrich liebte es schmackhaft.
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"Friedrich hat immer gesagt: Acht Schüsseln müssen reichen", erzählt Kappelt. Mit Schüsseln sind Gänge gemeint, oder besser Teile von Gängen: eine Suppe, eine Vorspeise, zwei Hauptgänge plus drei "Beygerichte" und zum Schluss ein Dessert.
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In weißen Porzellantöpfchen kommt die "Soupe aux Salssiefe", die Schwarzwurzelsuppe. Obenauf schwimmen die Flusskrebse. Gleich danach die Vorspeise, "Faschierte Tauebn mit Traubensalat und Schalotten". Von den Vögelchen konnten der König und seine Entourage nie genug bekommen. Allein an einem Tag, am 27. November 1741, aßen der Alte Fritz und seineGäste mittags zehn Täubchen und am Abend gleich noch einmal 38 hintereinander. Verständlich. Die fruchtig-süß durchgezogenen Vogelkörper auf einer karamelisierten Traubensauce würden auch heute noch die Karten eines jeden Gourmetlokals schmücken.
Schließlich trägt der Kellner die Hauptspeisen auf. "Kalbsbries à la Fridericus".
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Kreativ kombiniert sind auf jeden Fall die drei "Beygerichte" – die Maultaschen, Teltower Rübchen und Polenta, Friedrichs Leibgericht. Als Dessert kommt noch etwas ganz Ungewohntes – gekochte Ananasscheiben mit kandierten Kirschen an einer luftig geschlagenen Eisauce.
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Die Gabel wurde durch Friedrich in Preußen salonfähig
Allerdings war Friedrich längst nicht nur der selbstlose Küchensamariter. Schon früh entdeckte er die Feinschmeckerei und musste dafür einiges einstecken. Vor allem von seinem Vater, dem Soldatenkönig. Für die Verfeinertheit seines Sohnes hatte Friedrich Wilhelm I., der Grobklotz, dem zum Essen ein scharfes Messer genügte, nur wenig übrig. "Der Vater hat Friedrich sogar geohrfeigt," fand Kappelt heraus, "weil er sich als Kronprinz Silberbesteck gekauft hatte". Das Prozellan des Sohnes habe er vor versammelter Mannschaft auf dem Boden zerschellen lassen. Friedrich ertrug die väterliche Tyrannei stoisch. Einmal an der Macht, begann er dann mit seiner Küchenrevolution. "Die Gabel wrude mit Friedrich salonfähig in Preußen", erzählt dessen Double. Dies hat Adolph von Menzel später in Öl nachempfunden: umringt von seiner Tafelrunde sitzt der König am geschmackvoll eingedeckten Tisch, darauf feines Prozellan, Champagnerflöten und Silberbesteck.
Überhaupt entwickelte sich Berlin unter Friedrich kulinarisch zur Weltstadt. Durch das Brandenburger Tor wurde immer neue Ladungen von Kaviar und Trüffeln gekarrt. "Kochen besaß den Rang einer Kunst", schreibt Kappelt in seinem Buch. In höfischen Kreisen sei lukullisches Geschick sogar dem des Diplomaten gleichgesetzt worden. Es gab teure Aspiks, Austern und Hummer, wenn auch nur für die Oberschicht. Fruchtiges Liebeskonfekt war besonders beliebt: Kandierte Melonen, Ananas, Bananen und Orangen galten als "Stimulantia", weil sie "zum Beyschlaffe krafft machen", wie der Commercien-Rath Johann Heinrich Zedler schwärmte.
Von überall her strömten Fremde in die Stadt. Aus Spanien, Böhmen, Polen, Russland brachten sie ihre Lebensmittel und Rezepte mit. "Gerade die Italienier waren im Feinkosthandel vertreten", erzählt Kappelt. In der Hofküche kamen Makkaroni in die Töpfe, Parmesankäse und Esskastanien. Schläucheweise konsumierten die Adeligen Olivenöl aus dem Süden. Auf die Essgewohnheiten der Elite Preußens haben die Italiener im 18. Jahrhundert mindestens ebenso viel Einfluss ausgeübt wie die Franzosen. […] "
Text von Markus Frenzel, alle Fotos: Mike S. Wolff
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